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Circus Alberto Althoff - Tour 2010
www.circusalthoff.nl ; 50 Showfotos

Bochum, 8. Mai 2010: Wir schreiben den letzten Spieltag der Bundesliga-Saison 2009/10. Der Strom von Fußballfans, die von der Bochumer Innenstadt ins (ehemalige) Ruhrstadion zieht, ist enorm. Der Weg in die Sportarena führt am Festplatz an der Castroper Straße vorbei, wo der Circus Alberto Althoff sein Chapiteau aufgeschlagen hat. Das Spiel VfL Bochum gegen Hannover 96 ist ausverkauft. Das Spiel in der Manege wollen an diesem Samstag Nachmittag keine 100 Besucher sehen.

Leider ein gewohntes Bild für den bisherigen Verlauf des Abstechers nach Deutschland dieses vorwiegend in den Niederlanden reisenden Circusses. Dass man mit dem Geschäft in den hiesigen Städten ganz und gar nicht zufrieden ist, gibt Pressesprecher Andy Vreeman unumwunden zu. Den Hauptgrund für die Misere sieht Vreeman in den vielen Circussen mit unseriösen Praktiken, insbesondere Freikarten, die am Ende doch keine sind. Ab 22. Mai geht es wieder zurück nach Holland, wo die Situation nicht unbedingt besser sei. Einen erneuten Abstecher nach Deutschland noch in diesem Jahr schließen er und Direktor Alberto Althoff aber nicht aus.

Direkt neben dem umzäunten Circusgelände findet sich ein Bierstand. Nachschubstation für die Fußballfans. Als eine Gruppe von ihnen, die Stallungen und Freigehege sieht meint ein Schlachtenbummler zu seinen Kumpel: „Mensch, das ist ja noch so ein 'echter' Circus.“ In der Tat, bei Alberto Althoff gibt es den klassischen Circus-Dreiklang aus Tieren, Artisten und Clowns zu erleben. Allerdings geht man hinsichtlich der Präsentation dieser Zutaten eigene Wege abseits der ausgetretenen Pfade. „Fifty-Fifty“ heißt das Programm-Motto. Eine Hälfte klassischer Circus, eine Hälfte moderne Show. So richtig stringent wird dieses Motto – zumindest an diesem Nachmittag – nicht durchgehalten. Es gibt in der ersten Hälfte mindestens eine Nummer, die richtig modern „durchgestylt“ ist. Dafür sehen wir nach der Pause Darbietungen, die jedem traditionellen Circusprogramm zur Ehre gereichen würden. Mal sind Auftritte wunderbar kreativ gestaltet, dann wiederum gibt es längere Umbaupausen, in denen nichts passiert. Diese (scheinbaren) Gegensätze zeigen sich ebenfalls beim Material. Im Chapiteau finden sich ein gepflegtes Gradin mit Schalensitzen (acht Reihen) und eine große Gardine aus Stoff. Die Logenumrandungen werden aus sperrig wirkenden Gitterzaunelementen gebildet, welche zur Manege hin mit Stoff überzogen sind. Das Vorzelt ist liebevoll mit Kerzenständern, Kronleuchter und ausgestellten Kostümen dekoriert. Die Container in der Front hingegen versprühen wenig Charme, der Zaun mit Lichterbögen schon.


Alexandra, Tiziana und Bernhard Saabel

Die teilweise holprigen Übergänge zwischen den Darbietungen erklärt Alberto Althoff nach der Vorstellung mit Umstellungen im Programm. Denn beispielsweise die Darbietung zu Beginn ist ganz neu dabei. Yvonne und Knut Muderack präsentieren ihre vier Junglöwen. Nachdem sie mit ihren Kurzgastspielen bei Nock und Carl Busch in dieser Saison wenig Glück hatten, zeigen sie in der von mir besuchten Vorstellung eine durchaus sehenswerte Vorführung. Natürlich merkt man den Tieren noch die Nervosität an, die Musik ist sehr leise und es wird viel mit Fleischbelohnung gearbeitet. Aber: Die Tiere beherrschen bereits ein beachtliches Trickrepertoire, dass sie – manchmal erst nach der zweiten Aufforderung – bereitwillig zeigen. Das Aufrichten am Gitter ist zu sehen, Balancen über einen Balken, Sprünge und sogar ein Hochsitzer. Im Käfigwagen warten zudem noch zwei Tiger auf ihren Auftritt. Da Alberto Althoff an diesem Nachmittag aus familiären Gründen verhindert ist, übernimmt Yvonne Muderack gleich noch die Ansagen zur Begrüßung, Pause und Verabschiedung.


Yussuf, Stella

Nach einem Trompetensolo von Mimo Di Lello hat Yussef seine Auftritt. Er zeigt unbestritten einen Klassiker der Circuskunst. Als orientalischer Fakir spuckt er Feuer, bereitet sich sein Bett auf Scherben und haut mit der bloßen Hand Nägel in ein Brett. Exzellente Vertreter des klassischen Circus sind die Mitglieder der Familie Saabel. Zu dritt reiten sie eine Hohe Schule im spanischen Stil, wie sie stimmiger kaum sein kann. Eingeleitet durch Tochter Alexandra als Tänzerin zeigen sie ihre Reitkünste – zunächst auf drei Schimmeln, danach Tiziana und Bernhard Saabel auf zwei Friesen, während Tochter Alexandra wieder zur Tänzerin wird. Ein Pferd am langen Zügel wird von Bernhard Saabel vorgeführt. Zusammen ergibt sich ein wunderschönes Bild. In ein solches ist auch die folgende Nummer von Stella am Luftring eingebettet. Es erscheinen ein Violinist (mit „Luftgeige“) und drei Fantasiewesen. Alle in weißen Kostümen. Nebel wabert in der Manege, auf die Manegenkästen werden weiße Kunstblumen gesteckt. Dazu zeigt Stella ihre Kür am Luftring, später geht ein Mitglied der Diorios mit ihr zusammen in die Luft. Eine durchdachte, choreographierte Nummer, die ich eher nicht dem Part „klassischer Circus“ zugeordnet hätte.
 


Mimo Di Lello

Ohne Frage zum traditionellen Circus gehört die komische Taxifahrt der Di Lellos, welche uns im vorletzten Jahr noch beim französischen Cirque Medrano unterhalten haben. Ihr Oldtimer kann so ziemlich alles außer der zuverlässigen Beförderung von Kunden. Wasser spritzt, die Türen fliegen aus der Verankerung und das Gefährt dreht sich in irrsinniger Geschwindigkeit um die eigene Achse. Für Spaß ist mithin gesorgt. Diesen zu bereiten ist ebenfalls Aufgabe des nächsten Auftritts, bei dem Diabolo-Artist Georgo als Reprisenclown eine Stofflöwen durch den Reifen fliegen lässt. Ohne „Tritt in den Hintern“ springen die Hunde der Saables durch Reifen. Ihre Darbietung mit jeweils vier Huskys und vier schneeweißen Hunden ist in eine Eskimo-Szenerie eingebettet. Die Hunde haben ihre Plätze auf kleinen Iglus, es werden Hürden aus Eis übersprungen und die Vorführer tragen Eskimo-Kostüme. Allein schon die Schönheit der selten in einer Circusmanege zu erlebenden Hunderassen ist ein echter Hingucker. Die Tricks sind bemerkenswert und schließen neben den erwähnten Sprüngen Hochsitzer, einen Fächer und die lebhafte Nutzung einer Rutschbahn ein. Nachdem die Tiere ihre Dresseure in einem Hundeschlitten in die Manege gezogen haben, verlassen sie diese auf gleiche Weise. Wie schon bei der Hohen Schule verstehen es die Saabels auch hier, ein wunderschönes Bild in die Manege zu zaubern, Atmosphäre zu transportierten. Die Pause wird eingeleitet von Connaisseur Mimo Di Lello und Maitre Georgo.

Danach steht in der Manege, wie bereits zu Beginn, ein Käfig. Diesmal ist er kugelförmig und dient als Requisit für die Diorios und ihre Motorräder. Zu zweit drehen sie darin ihre Runden. Eine „Fußgängerin“ leistet den beiden Stuntmen dabei Gesellschaft. Nachdem er vor der Pause noch den Löwenbändiger im Livree gegeben hat, wirbelt Georgo nun als Punk seine Diabolos durch die Luft. Bis zu vier davon jongliert der trotz seines wilden Outfits sympathisch rüberkommende junge Tscheche gleichzeitig. Seine Show ist mit vielen tollen Trick gespickt und rundum gelungen. Ein begabter junger Artist, von dem man gerne mehr hören würde. Gleiches gilt für Alexandra Saabel. Das oft strapazierte Bild vom „Wunder der Gelenkigkeit“, auf sie passt es wirklich. Was sie aus dem Genre der Equilibristik herausholt, ist schlichtweg phänomenal. Dazu ist sie eine ausgesprochen hübsche Manegenpersönlichkeit. Durch und durch klassischer Circus und damit nach meinem Geschmack besser im ersten Programmteil aufgehoben. Wie vor der Pause wird auch in der zweiten Hälfte eine Solo-Luftnummer ausschweifend verpackt. Diesmal ist schwarz die vorherrschende Farbe, statt dem Luftring ist nun der Zopfhang die artistische Disziplin. Die Dame aus der Diorio-Truppe zeigt ihn. Begleitet wird die Szenerie unter anderem von einem Stelzenläufer.


Alexandra Saabel, Lisa Di Lello, Georgo

Diese Showbild geht über in die Hula Hoop-Nummer von Lisa Di Lello, welche im peppigen roten Lackoutfit präsentiert wird. Die zugehörige Technomusik ist an verschiedenen Stellen im zweiten Teil zu hören und für meine Ohren nicht in allen Fällen angenehm. Meine Augen hingegen lassen sich gerne von Stefanie Chen und ihren Reifen verwöhnen.  Während Bernhard Saabel dem August Mimo Di Lello erklärt, dass das Musikmachen in einem derart altmodischen Outfit und mit einem alten Radio hier verboten ist, wird das Todesrad aufgebaut. Das Requisit ist bekannt aus der Manege des Circus Barum, wo es einige Jahre seine Runden drehte (Davor war es übrigens in Deutschland bereits bei Alberto Althoff zu sehen.). Der noch von Barum bekannte Artist Mirak hat in Rafal einen neuen, jungen Partner gefunden. Sie zeigen das Seilspringen, den Lauf mit verbundenen Augen und den gemeinsamen Lauf auf den beiden Außenrädern. Zum Schluss dreht sich das Rad immer schneller und bildet damit den rasanten Übergang zum ebenfalls äußerst flott gestalteten Finale. Katarzyna Althoff übernimmt hier das Kommando. Dank ihres choreographischen Geschicks wird es ein fulminanter Abschluss mit viel Tanz und einigen Zugaben. Die Frau von Alberto Althoff zeichnet ebenfalls für die Choreographie des gesamten Programms verantwortlich.

Inzwischen ist ein paar Häuserblocks weiter das Fußballspiel zu Ende. Bochum ist abgestiegen, Hannover hat die Erstklassigkeit gerade noch so gerettet. Auch für den Circus in Deutschland werden die nächsten Jahre ein Kampf um den Klassenerhalt bleiben. Alberto Althoff schickt ein starkes Team in die Manege. Die Spielgestaltung ist sehr kreativ, für meinen Geschmack an einigen Stellen aber noch optimierungswürdig. Zu wünschen bleibt auf jeden Fall, dass der Zuschauerschnitt im weiteren Verlauf der Saison noch steil nach oben geht. Dieser Circus Althoff hat es verdient.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch