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Circus Starlight - Coulisse 2009
www.circus-starlight.ch ; 50 Showfotos

Neuchatel, 3. Mai 2009: In den vergangenen Jahren bedurfte es meist eines verstohlenen Blicks ins Programmheft um den Handlungsfaden in den Produktionen des Schweizer Circus Starlight (Jocelyne & Heinrich Gasser) zu verstehen. In diesem Jahr ist das nicht notwendig, „Coulisse“ ist selbsterklärend: Es ist die Parodie auf einen leicht heruntergekommenen Wandercircus. Der Clou dabei: Das Ensemble bringt sowohl das Geschehen in der Manege als auch hinter den Kulissen auf die Bühne – eine runde Manege gibt es bei Starlight seit einigen Jahren nicht mehr.

Einhergegangen mit der leichteren Verständlichkeit ist auch ein Wechsel in der Art der Aufführung: Setzte man in den vergangenen Jahren in erster Linie auf einen avantgardistischen, coolen vom Nouveau Cirque beeinflussten Theaterstil kanadischer Prägung, präsentiert man sich 2009 zugänglicher, gefühlvoller, in einer Atmosphäre, die aus Romantik, Melancholie und berührender Komik ein wunderbarer Ganzes schafft.


Christopher und Jessica Gasser, I Baccala

Zusammengehalten wird „Coulisse“ auf der einen Seite von Christopher Gasser, der einen herrlich arroganten, selbstverliebten, von seinem eigenen Programm gelangweilten Circusdirektor gibt und auf der anderen Seite von I Baccala. Die italienisch-schweizerischen Clowns geben ein Pärchen, das eigentlich zum Zuschauen in den Circus gekommen ist, vom Direktor aber für ein Artisten-Duo gehalten und ohne Gnade ins Rampenlich gezerrt wird. Dort jonglieren sie zunächst reichlich unbeholfen mit einem Apfel, deuten dann eine Hand-auf-Hand-Darbietung an und gehen schließlich zu ihrer furiosen Trapez-Parodie in die Luft. Egal, wo I Baccala bislang aufgetreten sind, sie waren immer hinreißend. Die aktuelle Starlight-Show allerdings ist den beiden geradezu auf den Leib geschrieben. Sie waren nie besser! Und so gelingt es I Baccala auch bei Starlight ohne Mühe, sich in die Herzen der Zuschauer zu spielen. Spätestens wenn sie zu ihrem ganz speziellen Kompliment ansetzen, liegt ihnen das Publikum zu Füßen.


Joelle Huguenin, Marie-Lee Guibert sowie Audrey und Maude Duval Seyer

Doch von vorne: Die Show beginnt mit einem bunten Charivari der Truppe. Es folgt, als erster Programmpunkt eine bissige Parodie auf die Vorführung eines unberittenen Schulpferds: Direktor Christopher Gasser scheucht das Tier dargestellt von Einrad-Artist Philippe Bélanger über die Bühne. Dann das erste artistische Highlight der Show: Joelle Huguenin. Ausdauernd und technisch versiert hält die Schweizer Jongleuse bis zu sieben Bälle in der Luft. Weiter geht’s mit Jessica Gasser: Sie gibt eine handysüchtige Nachwuchsartistin, die nur mit Mühe zu ihrem Auftritt auf dem Drahtseil überredet werden kann. Grandiose Comedy dann der Auftritt von Magier und Bodenjongleur Nathaniel Rankin: Seine Zaubertricks sind zwar eher gewöhnlich, durch die Unterstützung von zwei überkandidelten Assistentinnen ist der Auftritt aber ein wahrer Lacherfolg. Wunderschöner Schlusspunkt einer perfekten ersten Hälfte ist dann der Auftritt von Marie-Lee Guibert sowie Audrey und Maude Duval Seyer. Die drei bildhübschen Kanadierinnen zeigen ganz in weiß eine wunderbare Handvoltigen-Arbeit.

Teil zwei fällt dann im Vergleich zur ersten Hälfte leider etwas ab. Zwar beginnt auch er furios - das ganze Ensemble springt variantenreich Seil – lässt dann aber etwas an Esprit vermissen. Richard Kahligs Balljonglage ist zwar kreativ und einfallsreich, aber leider auch bereits die dritte Jonglagenummer im Programm. Leistungsstark aber sehr konventionell präsentieren sich im Anschluss zwei mongolische Schlangenfrauen. Auch Francis Caron hinterlässt einen eher zwiespältigen Eindruck: Sein Auftritt bleibt eher durch die Integration des Ensembles haften als durch seine kraftvollen, absichtlich langsam ausgeführten Tricks am Standtrapez. Und so obliegt es I Baccala direkt im Anschluss mit ihrer Trapez-Komödie nochmal für Stimmung im Chapiteau zu sorgen und zum großen Finale überzuleiten.

Nun gibt das Publikum alles: Ist es bereits während der ganzen Show begeistert mitgegangen, ist der Applaus im Finale geradezu euphorisch. Die Zuschauer honorieren damit absolut gerechtfertigt eine Show, die einen Unterhaltungswert aufweist, der fast nicht mehr zu steigern ist. Ein großes Lob muss daher auch an die beiden Regisseure Goos Meeuwsen und James Tanabe gehen, die für meine Begriffe die beste Starlight-Show der vergangenen Jahre inszeniert haben.

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Tobias Erber, Sven Rindfleisch