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Cirque Pinder - Tour 2009
www.cirquepinder.com ; 65 Showfotos

Metz, 5. Juli 2009: Arlette Gruss und Pinder sind wohl die zwei größten und bedeutendsten Reisecircusse Frankreichs – zwei Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Konzepten, die jedoch beide augenscheinlich überaus erfolgreich am Markt agieren. Gruss erhebt den Anspruch, den klassischen Circus mit Tieren neu erfunden zu haben, bietet choreographierte Shows mit bedeutungsschweren Motti, eigens komponierter Musik, aufwendigen Dekorationen, Kostümen, Bühnenbildern aus Licht. Pinder dagegen steht, wie Juniorchef Frederic Edelstein 2008 im Chapiteau.de-Interview sagte, „absolut für klassischen Circus“ – ohne jeden Gedanken an Veränderung.

Der Cirque Pinder bietet – vom fehlenden Orchester abgesehen – exakt das, was Circusfreunde heute in der Regel unter „klassischem Großcircus“ verstehen, was sie andernorts vielfach vermissen: ein reines, aber umso stärkeres Nummernprogramm. Mit Pferden, Elefanten, Raubtieren und Exoten, Musikal-Clownerie, Flugtrapez und einer weiteren Truppe, zusammengehalten vom Sprechstallmeister bzw. – in Frankreich – Mr. Loyal. Ein wahr gewordener Circusfreundetraum also? Nicht ganz. Dazu hapert es leider an der Gesamtpräsentation des Programms.

Wir erlebten das Unternehmen in Metz, zum Beginn eines neuen Tourneeabschnitts, der während der Sommermonate mit vielen Eintagesgastspielen in zahlreiche Badestädte an der Küste führen wird. Hierfür wird ein etwas kleineres und niedrigeres Chapiteau als im bisherigen Tourneeverlauf eingesetzt. Von außen beeindruckt Pinder mit einem großen, modernen Wagenpark in den Hausfarben rot-gelb und vielen bunten Circus-Motiven -  schon das zeigt, dass das Unternehmen vor allem auf Familienunterhaltung setzt. Recht schmucklos zeigt sich der Circus allerdings im Inneren des Chapiteaus – die Tribüne mit Holzbänken und die Logen sind einfach gehalten, ebenso der samtrote Vorhang des Artisteneingangs, der aber immerhin ein ruhiges Bild abgibt. Das Todesrad liegt ohne Not während der kompletten Vorstellung gut sichtbar rechts neben dem Artisteneingang parat, links ist der Schlagzeuger platziert. Ansonsten kommt die Musik vom Band – im Verlauf der Vorstellung in stark differierender Qualität und Lautstärke. Die Schwankungsbreite reicht von guter, angemessen lauter Begleitung (etwa beim Jongleur) bis zu einer kaum hörbaren Einspielung bekannter Circusmusik in minderer Qualität beim Flugtrapez. Es sollte für ein Unternehmen dieser Größenordnung eigentlich ein leichtes sein, wenn schon kein Orchester spielt, zumindest für durchgängig gute Konservenmusik zu sorgen. Schade. Die Lichtanlage ist für die Sommertournee reduziert, auch Juniorchefin Sophie Edelstein tritt mit ihren Großillusionen im Juli und August nicht auf.


Frédéric Edelstein, Sacha Houcke, Gaby Dew

So wenig die Gesamtpräsentation überzeugen kann, so sehr tun es die einzelnen Darbietungen. Ein Höhepunkt gleich zur Eröffnung ist die Raubtierdressur mit 16 (!) Tieren des Juniorchefs Frederic Edelstein. Die neun Löwinnen und drei Löwen betreten zunächst alleine den Zentralkäfig – beschnüffeln sich, rangeln ein wenig. Eine Manege voller großer Katzen – was für ein imposantes Bild! Edelstein kommt hinzu, greift ordnend ein und dirigiert die Tiere zu ihren Postamenten. Die vier Tiger gesellen sich dazu. Aber nicht nur Masse bietet diese Dressurschau, sondern auch Klasse. Pyramide, Sprünge, achtfache Hochsitzer, Vorwärts- und Rückwärtssteiger gehören zum Repertoire. Besonders beeindruckend: der Fächer mit acht Löwen und Edelsteins beherzter Sprung auf den Teppich abliegender Löwen. Überhaupt wissen alle Tierdarbietungen in diesem Programm in besonderer Weise zu überzeugen. Sacha Houcke präsentiert zunächst die beiden Elefantendamen des Unternehmens in einer trick- und temporeichen Dressurfolge und nach der Pause kein bloßes „Tableau“ exotischer Tiere (Fjordpferde, Lamas, Esel, Kamele, Zebra), sondern eine ausgefeilte Dressurleistung mit anspruchsvollen Tricks – zum Beispiel einem Karussell, bei dem auf der äußeren Bahn die vier Lamas die abliegenden Kamele überspringen, während innen die Fjordpferde ihre Runden drehen. Ein Augenschmaus ist auch Gaby Dews Achterzug brauner und weißer Pferde mit anspruchsvollem Repertoire.


Akaena, Los Mendes, Frères Martis

Es gibt sie noch, die waschechten Circusnummern - das beweist zum Beispiel die fünfköpfige kubanische Truppe „Los Mendes“. Während es manchmal scheint, als könne man am Russischen Barren nur in kunstvoll-schwermütiger Manier arbeiten, setzt die Truppe, deren Repertoire bis zum Dreifachen reicht, voll auf südamerikanische Fröhlichkeit und Temperament. Das gilt auch für ihre Seilspring-Darbietung, mit der sie im zweiten Teil wiederkehrt. Effektvoll und beeindruckend der Schlusstrick: Einer der Herren trägt die Partnerin auf den Schultern sowie zusätzlich zwei Zuschauerinnen auf den Hüften und springt dann Seil. Ein waschechter Circusklassiker ist auch die Flugtrapez-Darbietung der Flying Costa. Ein Herr und eine Dame aus der von Barum bekannten Besetzung sowie zwei neue Artisten bilden nun diese Truppe, die aufgrund der Personalwechsel vielleicht noch nicht ganz ihr früheres Leistungsniveau wieder erreicht hat. Dennoch bieten die Costas eine attraktive Pausennummer, natürlich inklusive „Dreifachem“. Eine ungewöhnliche kraftvolle Luftring-Arbeit, zudem verkauft mit viel erotischer Ausstrahlung, präsentiert Akaena. Eher unterhalb des Genre-Standards bleiben dagegen die Brüder Martis mit ihrer Hand-auf-Hand-Darbietung inklusive recht hektisch ausgeführtem Stuhltrick.


Ray Navas, Francois Bori, Romina

Die einzige artistische Darbietung im Programm, die eher künstlerischen Varieté-Charakter hat, ist Rominas Kombination von Hula Hoop und kontorsionistischen Elementen – die verführerische Frau mit endlos langen Haaren macht daraus eine echte Augenweide. Eine der schönsten und stärksten Hula Hoop-Darbietungen überhaupt, wenngleich die Nummer 2008 bei Barelli, mit schwungvoller Livemusik anstelle der eher schwermütigen Bandeinspielung, stärkere Publikumsreaktionen erzielte. Ebenfalls von Barelli bekannt ist ihr Lebensgefährte Francois Bori mit seiner starken Jonglage mit bis zu sieben Keulen. Den umjubelten Schlusspunkt setzen dann die Brüder Navas auf dem Todesrad – Blindlauf, Seilspringen und sehr hohe Sprünge gehören zum Repertoire, während der Frühjahrstournee im höheren Zelt wurden auch Salti auf der Außenseite des Rades gezeigt. Damit haben – neben Crazy Wilson und den Flic Flac-Hasardeuren – mittlerweile mindestens drei Todesradnummern diesen Spitzentrick im Repertoire. Was die Navas zusätzlich auszeichnet, sind das südamerikanische Feuer in Musikbegleitung und Verkauf. Wortreich, sympathisch und stilvoll moderiert wird das Circusprogramm von Frédéric Colnot. Die Musikalclownerie der vierköpfigen Truppe Hariazov (plus zwei Reprisen) bietet Klamauk der schrillsten Sorte und kommt ohne echte Gags aus. Im kurzen Finale präsentiert Frédéric Edelstein noch vier Tigerbabys in einem Korb.

Nach dem inner-französischen Vergleich Arlette Gruss – Pinder wollen wir abschließend noch Parallelen zu Deutschland ziehen. Mit seiner Art, Circus zu machen – starke Nummern „pur“ zu bieten, ohne großen Wert auf Ambiente im Zelt und die „Verpackung“ des Programms zu legen – ähnelt Pinder von unseren deutschen Großcircussen am stärksten Universal Renz. Unser Pinder heißt also Uni-Renz…

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Text: Markus Moll, Fotos: Sven Rindfleisch, Stefan Gierisch