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Circus Herman Renz - Tour 2009
www.renz.nl ; 65 Showfotos

Nijmegen, 25. April 2009: Das Motiv der Zigeuner ist ein beliebtes für Produktionen in der Circusmanege. Aktuell seien hier der Cirque Alexis Gruss („Gipsy“) und der Cirque Alexandre Bouglione („frénésie Tzigane“) genannt. Und es ist natürlich ein dankbares Thema: Rassige Frauen, verwegene Männer, wilde Pferde – diese Assoziationen verbindet man mit Zigeunern, genauso wie mit dem Circus. In diesem Jahr hat nun auch der Niederländische Nationalcircus Herman Renz das Thema aufgegriffen und ist mit seiner Show „Gitano“ auf Tour durch die Niederlande. Außerdem wird das Programm vor Weihnachten wieder in der Nähe von Paris zu sehen sein.

Damit folgt Renz seiner Linie, jedes Jahr ein neues Motto für seine Programme zu wählen. Treu bleibt des Direktionsteam um Rob Ronday ebenfalls seiner Maxime, im Kern ein klassisches Circusprogramm auf durchgehend hohem Niveau zu bieten, mit tollem Orchester und starkem Lichtdesign. Überhaupt präsentiert sich das ganze Unternehmen, so wie man das von einem europäischen Großcircus wünscht. Das große Chapiteau, der Wagenpark in den Hausfarben blau-rot, der Holzzaun vor dem Eingangsbereich und die Tierschau sind auf der weitläufigen Goffertweide in Nijmegen ideal platziert. Zudem gibt es seit dieser Saison ein neues, großzügiges Vorzelt, dass neben Verkaufsständen auch ein Karussell beherbergt. Kurz, das Ambiente lädt zum Besuch der Show ein.

Und die spielt in diesem Jahr eben weitgehend im Milieu der Zigeuner. Will heißen Opening, Finale und die Nummern, bei denen dies sinnvoll umsetzbar ist, sind hinsichtlich Musik, Kostümen und Choreographie auf dieses Thema ausgerichtet. Gleichwohl räumt Robert Ronday ein, dass es nicht immer möglich ist, das zentrale Motiv über alle Nummern beizubehalten. Schon beim Betreten des Chapiteaus werden die Besucher von jungen Männern in passenden Westen und weißen Hemdem begrüßt und zum Platz geleitet. In der Manege stimmt eine angestrahlte klassische Gitarre auf einem Stuhl auf das Spektakel ein, während in der Gardine ein alter Wagen aus Holz steht, dessen noch geschlossene Tür Erwartungen auf die Bewohner weckt. Pünktlich zum Beginn der Show öffnet sich die Tür, eine Sängerin mit Öllampe in der Hand erscheint, gefolgt von den restlichen Mitgliedern des Ensembles. Die Frauen tragen Kleider mit weiten Röcken, die Männer Gewänder mit breiten Gürteln. Ein stimmungsvolles Bild, in dem ausgelassen getanzt wird. Im Zentrum agiert Robert Ronday als Zigeunerkönig.


Frenky, Nicol Nicols, Tamara Weiser

Nachdem er das Publikum begrüßt hat, übernimmt Hans-Ludwig Suppmeier mit sechs Andalusiern aus dem Hause Togni. Die wunderschönen Tiere werden von ihm elegant vorgeführt. Sie beherrschen ein umfangreiches Repertoire und verabschieden sich nach variantenreicher Laufarbeit mit verschiedenen Steigern. Dank ihrer Vielseitigkeit überrascht Tamara Weiser jedes Jahr aufs Neue. 2009 zeigt sie sich im ersten ihrer beiden Auftritt in der Renz-Manege als Hula Hoop-Künstlerin. Viel Feuer ist im Spiel, wenn sie die Reifen um ihre Hüften kreisen lässt. Sie betritt die Manege mit in einem Kreis angeordneten Fackeln, während ihres wilden Tanzes schießen Feuersäulen „aus dem Boden“ und natürlich hat sie – trotz wehendem Kleid – Feuerreifen im Repertoire. Kaninchen, Schwein, Ziege und Hühner sind die Mitglieder von Frenkys Tierfamilie, die er an bzw. auf einer Holzkarre mit Küchenutensilien in die Manege bringt. Während die kleineren Tiere an einem Tisch Platz nehmen, entrollt das Schwein einen Teppich und springt durch einen Reifen. Originell auch die drei Hühner auf einer Wippe. Ganz so, wie wir es von einer Taubenrevue kennen. Während dem Aufbau des Drahtseils mischt sich ein Hund unter die Requisiteure, um von einem von ihnen vertrieben zu werden. Natürlich sind in diese Szene spielerisch kleine Kunststücke eingebaut. Auf dem Seil tanzt Nicol Nicols als stolzer Matador. Seine Begleiterin ist ebenfalls in ein prächtiges spanisches Outfit gewandet und assistiert ihm etwa beim Seilspringen oder dem Sprung durch einen mit Messern besetzen Reifen. Ferner überzeugt Nicols mit Rückwärts- und Vorwärtssalto.


Michel Jarz, Flying Michaels, Trio Laruss

Unter großen Anstrengungen zieht Milko, er gehört ebenfalls zum Direktionsteam, an einem dicken Tau, das hinter der Gardine endet. Zum Vorschein kommt erwartungsgemäß ein kleiner Hund. In diesem Fall einer mit Löwenmähne. Das Grundmotiv ist bekannt, die Umsetzung aber weitgehend eigenständig. Zum echten Hund gesellt sich einer aus Stoff, der auf einem riesigen Podest Platz nimmt und dort unter fachkundiger Anleitung von Milko sein Kunststück zeigt. Das Podest dient dann als Bühne für das Trio Laruss, welches anspruchsvolle Figuren der Partnerequilibristik zeigt. Für mich sind die drei Ungarn der artistische Höhepunkt im Programm, zumal sie die Wirkung ihrer Artistik durch die Aufmachung als Goldmenschen enorm steigern. Schade, dass sie keine prominentere Platzierung im Programmablauf erhalten haben. Die komische Schleuderbrettnummer „Anno 1900“ gibt es hier mal nicht im Stil der „Alten Kameraden“. Stattdessen kommen die Akteure in 3/4-Hosen und mit Fransen behangenen Westen in die Manege. Ein wenig wie eine arabische Springertruppe. Um alle Zweifel an der nicht vorhandenen Ernsthaftigkeit ihrer Darbietung zu beseitigen, tragen die Akrobaten um Milko, Frenky sowie die beiden Fänger des Trio Bokafi, ausgefallene Perücken. Dank der Schleuderbrett-Profis im Team gibt es sogar ein paar „echte“ Sprünge zu sehen. Wie bei Milkos Hundedressur wird auch hier ein bekanntes Thema eigenständig kreativ umgesetzt. So muss beispielsweise der Herr aus dem Publikum kein Schleuderbrett zum Auseinanderbrechen bringen, sondern darf mit Hilfe eine Longe ein bisschen durch die Luft schweben. Die Hohe Schule von Adriana Folco und Michel Jarz ist in ein größeres Schaubild mit Ballett, Bahnen von Tüchern, die aus der Kuppel herunterhängen und einer Luftartistin eingebunden. Das alles in prächtigen Kostümen im Stil der Zigeuner und passender Musik. Ein Bild zum Genießen. Dass die gebotene Leistung stimmt, ist fast schon Nebensache. Nicht zum ersten Mal bei Herman Renz sind die Flying Neves, die ihre Kostüme heuer auf das Motto des Programms abgestimmt haben. Ihr Repertoire umfasst alle Tricks, die man von einer solchen Darbietung erwartet – Passage und Dreifacher inklusive. Die folgende Pause wird von „Waschfrau“ Frenky eingeleitet, der mit Publikumshilfe eine Leine behängt.


Milko, Adriana Folco, Michael Olivares

Einen weißen Tiger und zwei Golden Tabby von Flavio Togni bringt Hans-Ludwig Suppmeier nach der Pause in den Zentralkäfig. Die Vorführung setzt auf die Schönheit der Tiere und endet mit einem Hochsitzer des weißen Tigers auf der sich drehenden Spiegelkugel. In ihrem zweiten Auftritt erleben wir Tamara Weiser an einem mit Blumen verzierten Luftring. Effektvoll ist der Abgang an roten Tüchern. Die Damen des Zigeuner-Balletts assistieren Milko, diesmal ganz klassischer Circusdirektor in rotem Frack und Zylinder, bei der Vorführung eines Ponys. Dieses lässt er durch Reifen laufen bzw. darüber springen. Eine nette Reprise auf eine „richtige“ Freiheitsdressur, die dank der Gesamtpräsentation herrlich anzusehen ist. Bälle, Bumerangs und Keulen sind die Requisiten von Michael Olivares. Dass in seinen Adern spanisches Blut fliesst, verhehlt dieser junge Artist nicht, würzt er doch seine Jonglagen mit jeder Menge südländischem Temperament. Besonders faszinierend ist die gleichzeitige Jonglage von großen Bällen mit den Händen und Ping Pong-Bällen mit dem Mund. Nachdem Frenky seine an einer Mütze aufgereihte Luftballon-Cavallerie durch die Manege gejagt hat, hat das nunmehr rein männliche Trio Bokafi seinen Auftritt. Neu ist ein noch recht junger Flieger, der die bisherige Frau im Team ersetzt und sicherlich bald noch routinierter wird. Geblieben ist hingegen die ganz spezielle Art der Präsentation ihrer Schleuderbrettshow. Mit einem Lichterfest der indischen Tempeltänzerinnen werden Adriana Folco und ihre indische Elefantendame Baby eingeleitet. In einem wunderschönen indischen Gewand mit goldenem Kopfschmuck und einem Stoffschirm in der Hand dirigiert Folco ihre vierbeinige Partnerin. Und Partnerinnen sind die beiden ungleichen Damen im besten Sinne. Das wird in der sehr auf Nähe angelegten Vorführung jederzeit sichtbar.

Nach der indischen Episode, greift das Finale wieder das Thema der europäischen Zigeuner auf. Farbenfroh, ausgelassen und feurig verabschieden sich alle Mitwirkenden vom Publikum. Jene Stimmung also, mit der der Zuschauer zu Beginn der Show aus dem Alltag abgeholt wurde. Wunderschön der Schluss, wenn die „Gitanos“ an einer langen Tafel mit rot-weiß karierter Decke Platz nehmen. Auf dem Orchesterpodium über der Gardine besingt die Sängerin den Mond. Die Manege hat sich geleert, die Tafel ist verlassen. Eine wunderschöne, professionell aber liebevoll gemachte Show (Regie: Antonio Giarola) ist zu Ende.

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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Stefan Gierisch, Sven Rindfleisch