Der Circus
steht in Frankfurt in derselben Baugrube im Messeviertel, die im
Frühjahr bereits dem Circus Barelli als Spielfläche diente und
zuvor dem André-Heller-Spektakel „Afrika! Afrika!“. Von außen
macht das Unternehmen einen hervorragenden Eindruck: ein
schöner, roter, stimmungsvoll beleuchteter Viermaster mit
Vorzelt und dekorativer Front lädt zum Besuch ein. Im Vorzelt
erwartet die Besucher eine gepflegte Restauration an vielen
Ständen, im Chapiteau ein Schalensitzgradin, eine beeindruckende
Lichtanlage mit vielen beweglichen Scannern und ein
bühnenbildartiger Hintergrund aus aufgespannten Schirmen.
Wunderbar gelöst sind in dieser Produktion die Umbauten: Trotz
der aufwendigen Requisiten sind durch großen Personaleinsatz und
gute Ideen keine Löcher in der Spielfolge zu entdecken. Bravo!
Russische Schaukel
mit Trapez, Pas de Deux, Seilspringen
Beginnen wir mit den Highlights im
Programm: Hierzu gehört freilich das große Flugtrapez vor der
Pause mit insgesamt neun Akteuren, davon drei Fängern, einer
Mittelschaukel und einer Reckstange als zusätzlicher
Absprungmöglichkeit. Geboten werden unter anderem zwei dreifache
Salti in einem Flug und der Vierfache, der in der besuchten
Vorstellung im zweiten Anlauf gelang. Nach der Pause folgt eine
weitere Flugnummer: Die Flieger werden von einer russischen
Schaukel in die Luft katapultiert und können dann nach Salti und
Pirouetten auf zwei Weisen gefangen werden: von einem stehenden
Fänger oder von zwei synchron arbeitenden, auf Masten stehenden
Fängern. Gefährlich würde es werden, wenn nur ein Fänger den
Flieger am Arm greifen könnte und dies dem zweiten misslänge.
Ein besonderer Juwel ist das „Pas de Deux“: Eine Artistin
balanciert auf einem Mundstab eine lange Stange mit einem
zweistöckigen Gläsertablett an der Spitze. So tanzt sie zunächst
auf Spitzen auf den Schultern ihres Partners; dann schweben
beide am Trapez – er hält sie am Ende nur an einem Fuß, während
sie mit dem zweiten Fuß einen Ring kreisen lässt, vier Bälle
jongliert und gleichzeitig die Mund-Balance ausführt. Überaus
beeindruckend ist auch Kraftjongleur Ri Thae Gum: Er jongliert
mit drei, angeblich jeweils 40 Kilo schweren Kugeln und fängt
eine mit dem Nacken; dann katapultiert er eine große Kugel –
nach Circusangaben 150 Kilo schwer – mit einem Schleuderbrett in
die Luft, fängt diese erst mit zwei Händen und dann mithilfe
eines Gestells mit dem ausgestreckten rechten Arm. Wahnsinn!
Übrigens darf ein Zuschauer das Gewicht der Kugeln prüfen – die
große freilich kann er gar nicht bewegen. Richtige Clowns gibt
es in dem Programm nicht, dafür zwei sympathisch-komische
Jongleure, die zunächst mit Hüten und später überaus trickreich
mit großen Bällen arbeiten. Spaß macht die große
Springseil-Nummer mit neun Mitwirkenden, bei der zum Beispiel
Artisten im Drei-Mann-Hoch springen und sich beim Schlusstrick
fünf Seile gleichzeitig drehen; sechs Artisten müssen bei dieser
„Verwicklung“ gleichzeitig ein Seil drehen und über ein anderes
springen.
Rola Rola,
Schleuderbrett, Jongleure, Trampolin mit ikarischen Spielen
Und die
lediglich guten Darbietungen? Hierzu ist zunächst die erste
Darbietung zu nennen, ein Duo-Trapez. Von einer Quer-Stange im
oberen Teil der Schaukel stürzt sich eine Artistin zu diversen
Pirouetten und Salti, bis hin zum Dreifachen, in die Tiefe und
wird vom Partner sicher gefangen. Allerdings dient die Longe
hier offenbar nicht nur als Sicherung, sondern auch als
Hilfsmittel, das viele Tricks erst möglich macht. Das Trio am
Russischen Barren – zwei Untermänner, eine Dame als Fliegerin –
hat ein umfangreiches Repertoire, doch zum Beispiel beim
Dreifachen stützen zwei Assistenten die Artistin bei der
Landung. Die – wie die Koreaner – ebenfalls mit dem Silbernen
Clown in Monte Carlo ausgezeichneten „White Crow“ dagegen haben
gleich drei verschiedene Dreifache im Repertoire, die ohne
solche Hilfe gelandet werden. Künstlerisch und in Sachen
Ausstrahlung ist die „White Crow“ als führende Nummer dieses
Genres den Koreanern ohnehin überlegen, aber eben auch
artistisch. Die Keulen-Jonglage mit vier Akteuren ist von der
Trickfolge her vergleichbar mit den „Gibadullin“, die 2007 beim
Zirkus Charles Knie zu sehen waren; was fehlt ist freilich der
(hier so wichtige!) zirzensische Verkauf – besonders augenfällig
beim abschließenden „Tellerfangen“, das mit einem fingierten
Patzer präsentiert werden müsste, um dann zu gelingen und das
Publikum damit von den Sitzen zu reißen. Eher zäh wird die
Kombination von Trampolin und ikarischen Spielen gearbeitet.
Wirklich spannend ist die Rola Rola-Darbietung, bei der ein
Artist auf fünf waag- und senkrecht aufeinander gestapelten
Walzen plus Brett durch zwei Ringe steigt, aber das
Trick-Repertoire der Darbietung hat sich darin auch fast schon
erschöpft. Das Schleuderbrett, wie die beiden großen Flugnummern
(vor Jahren!) goldgekrönt in Monte Carlo, bildet den Abschluss
der Show, unter anderem mit Vier-Mann-Hoch und einer Kombination
von vierfachem Rückwärtssalto mit vier Pirouetten, zur
Auffangmatte gesprungen.
Theatralisch:
Schlappseil aus China - Traditionell: Flugtrapez aus Nordkorea
Ein
besonderer Höhepunkt im Programm ist noch die trickreiche
Schlappseil-Nummer von Zhang Fan – der aber gar kein
Nordkoreaner ist, sondern Chinese. Seine Darbietung
unterscheidet sich in der Präsentation grundlegend von den
übrigen. Die Koreaner arbeiten durchweg zu traditioneller Musik,
mit vielen Walzer- und Marschklängen, die für westeuropäische
Ohren auf Dauer überaus anstrengend wirken. Sie treten in
farbenfrohen Kostümen auf, die sich stark an die koreanische
Circus-Tradition anlehnen, aber dennoch von einem westlichen
Kostümbildner eigens geschaffen wurden. Und sie lächeln oft,
sind sympathisch, präsentieren sich nicht als „seelenlose
Hochleistungssportler“, wie wir es von vielen Chinesennummern
kennen. Ihr Stil ist durchweg traditionell – wohl auch deshalb,
weil sich die Verantwortlichen in Nordkorea nur widerwillig zu
Modifikationen der Darbietungen bewegen lassen, was andererseits
freilich einen recht authentischen Einblick in die
Kulturleistungen des wohl abgeschottetsten Landes der Erde
ermöglicht. Die Nummer des Schlappseil-Chinesen Zhang Fan ist
dagegen auf einen modern-theatralischen Stil getrimmt, mit dem
heute viele Darbietungen aus China, besonders in den jüngeren
Stardust-Produktionen, präsentiert werden. Reglose Miene
inklusive. Auch die Disziplinen unterscheiden sich stark:
Kontorsionsnummern und ähnlich Filigranes, was wir mit China
verbinden, sind im nordkorenischen Circus nicht zu sehen – dafür
die großen Flugnummern, hier gezeigt von oftmals älteren,
durchaus etwas stämmigeren Artisten. Vielen Nummern fehlt
dadurch eine gewisse Leichtigkeit.
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