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Great Flying Circus Nordkorea
www.stardustcircus.com ; 40 Showfotos

Frankfurt, 6. September 2008: Ein „absolutes Weltereignis“ verspricht „Stardust Circus International“ mit seinem „Great Flying Circus Nordkorea“ und will „dem Publikum das Zirkusabenteuer seines Lebens bescheren“. Das ist nun freilich etwas hoch gegriffen: Einige Nummern im Programm sind in der Tat hervorragend, andere aber nur von gutem Niveau – nicht weniger und nicht mehr. Nach der Premiere im Carré-Theater in Amsterdam ist das Programm nun bis zum 28. September in Frankfurt am Main zu sehen, anschließend vom 2. bis 26. Oktober in Düsseldorf.

Der Circus steht in Frankfurt in derselben Baugrube im Messeviertel, die im Frühjahr bereits dem Circus Barelli als Spielfläche diente und zuvor dem André-Heller-Spektakel „Afrika! Afrika!“. Von außen macht das Unternehmen einen hervorragenden Eindruck: ein schöner, roter, stimmungsvoll beleuchteter Viermaster mit Vorzelt und dekorativer Front lädt zum Besuch ein. Im Vorzelt erwartet die Besucher eine gepflegte Restauration an vielen Ständen, im Chapiteau ein Schalensitzgradin, eine beeindruckende Lichtanlage mit vielen beweglichen Scannern und ein bühnenbildartiger Hintergrund aus aufgespannten Schirmen. Wunderbar gelöst sind in dieser Produktion die Umbauten: Trotz der aufwendigen Requisiten sind durch großen Personaleinsatz und gute Ideen keine Löcher in der Spielfolge zu entdecken. Bravo!


Russische Schaukel mit Trapez, Pas de Deux, Seilspringen

Beginnen wir mit den Highlights im Programm: Hierzu gehört freilich das große Flugtrapez vor der Pause mit insgesamt neun Akteuren, davon drei Fängern, einer Mittelschaukel und einer Reckstange als zusätzlicher Absprungmöglichkeit. Geboten werden unter anderem zwei dreifache Salti in einem Flug und der Vierfache, der in der besuchten Vorstellung im zweiten Anlauf gelang. Nach der Pause folgt eine weitere Flugnummer: Die Flieger werden von einer russischen Schaukel in die Luft katapultiert und können dann nach Salti und Pirouetten auf zwei Weisen gefangen werden: von einem stehenden Fänger oder von zwei synchron arbeitenden, auf Masten stehenden Fängern. Gefährlich würde es werden, wenn nur ein Fänger den Flieger am Arm greifen könnte und dies dem zweiten misslänge. Ein besonderer Juwel ist das „Pas de Deux“: Eine Artistin balanciert auf einem Mundstab eine lange Stange mit einem zweistöckigen Gläsertablett an der Spitze. So tanzt sie zunächst auf Spitzen auf den Schultern ihres Partners; dann schweben beide am Trapez – er hält sie am Ende nur an einem Fuß, während sie mit dem zweiten Fuß einen Ring kreisen lässt, vier Bälle jongliert und gleichzeitig die Mund-Balance ausführt. Überaus beeindruckend ist auch Kraftjongleur Ri Thae Gum: Er jongliert mit drei, angeblich jeweils 40 Kilo schweren Kugeln und fängt eine mit dem Nacken; dann katapultiert er eine große Kugel – nach Circusangaben 150 Kilo schwer – mit einem Schleuderbrett in die Luft, fängt diese erst mit zwei Händen und dann mithilfe eines Gestells mit dem ausgestreckten rechten Arm. Wahnsinn! Übrigens darf ein Zuschauer das Gewicht der Kugeln prüfen – die große freilich kann er gar nicht bewegen. Richtige Clowns gibt es in dem Programm nicht, dafür zwei sympathisch-komische Jongleure, die zunächst mit Hüten und später überaus trickreich mit großen Bällen arbeiten. Spaß macht die große Springseil-Nummer mit neun Mitwirkenden, bei der zum Beispiel Artisten im Drei-Mann-Hoch springen und sich beim Schlusstrick fünf Seile gleichzeitig drehen; sechs Artisten müssen bei dieser „Verwicklung“ gleichzeitig ein Seil drehen und über ein anderes springen.


Rola Rola, Schleuderbrett, Jongleure, Trampolin mit ikarischen Spielen

Und die lediglich guten Darbietungen? Hierzu ist zunächst die erste Darbietung zu nennen, ein Duo-Trapez. Von einer Quer-Stange im oberen Teil der Schaukel stürzt sich eine Artistin zu diversen Pirouetten und Salti, bis hin zum Dreifachen, in die Tiefe und wird vom Partner sicher gefangen. Allerdings dient die Longe hier offenbar nicht nur als Sicherung, sondern auch als Hilfsmittel, das viele Tricks erst möglich macht. Das Trio am Russischen Barren – zwei Untermänner, eine Dame als Fliegerin – hat ein umfangreiches Repertoire, doch zum Beispiel beim Dreifachen stützen zwei Assistenten die Artistin bei der Landung. Die – wie die Koreaner – ebenfalls mit dem Silbernen Clown in Monte Carlo ausgezeichneten „White Crow“ dagegen haben gleich drei verschiedene Dreifache im Repertoire, die ohne solche Hilfe gelandet werden. Künstlerisch und in Sachen Ausstrahlung ist die „White Crow“ als führende Nummer dieses Genres den Koreanern ohnehin überlegen, aber eben auch artistisch. Die Keulen-Jonglage mit vier Akteuren ist von der Trickfolge her vergleichbar mit den „Gibadullin“, die 2007 beim Zirkus Charles Knie zu sehen waren; was fehlt ist freilich der (hier so wichtige!) zirzensische Verkauf – besonders augenfällig beim abschließenden „Tellerfangen“, das mit einem fingierten Patzer präsentiert werden müsste, um dann zu gelingen und das Publikum damit von den Sitzen zu reißen. Eher zäh wird die Kombination von Trampolin und ikarischen Spielen gearbeitet. Wirklich spannend ist die Rola Rola-Darbietung, bei der ein Artist auf fünf waag- und senkrecht aufeinander gestapelten Walzen plus Brett durch zwei Ringe steigt, aber das Trick-Repertoire der Darbietung hat sich darin auch fast schon erschöpft. Das Schleuderbrett, wie die beiden großen Flugnummern (vor Jahren!) goldgekrönt in Monte Carlo, bildet den Abschluss der Show, unter anderem mit Vier-Mann-Hoch und einer Kombination von vierfachem Rückwärtssalto mit vier Pirouetten, zur Auffangmatte gesprungen.


Theatralisch: Schlappseil aus China - Traditionell: Flugtrapez aus Nordkorea

Ein besonderer Höhepunkt im Programm ist noch die trickreiche Schlappseil-Nummer von Zhang Fan – der aber gar kein Nordkoreaner ist, sondern Chinese. Seine Darbietung unterscheidet sich in der Präsentation grundlegend von den übrigen. Die Koreaner arbeiten durchweg zu traditioneller Musik, mit vielen Walzer- und Marschklängen, die für westeuropäische Ohren auf Dauer überaus anstrengend wirken. Sie treten in farbenfrohen Kostümen auf, die sich stark an die koreanische Circus-Tradition anlehnen, aber dennoch von einem westlichen Kostümbildner eigens geschaffen wurden. Und sie lächeln oft, sind sympathisch, präsentieren sich nicht als „seelenlose Hochleistungssportler“, wie wir es von vielen Chinesennummern kennen. Ihr Stil ist durchweg traditionell – wohl auch deshalb, weil sich die Verantwortlichen in Nordkorea nur widerwillig zu Modifikationen der Darbietungen bewegen lassen, was andererseits freilich einen recht authentischen Einblick in die Kulturleistungen des wohl abgeschottetsten Landes der Erde ermöglicht. Die Nummer des Schlappseil-Chinesen Zhang Fan ist dagegen auf einen modern-theatralischen Stil getrimmt, mit dem heute viele Darbietungen aus China, besonders in den jüngeren Stardust-Produktionen, präsentiert werden. Reglose Miene inklusive. Auch die Disziplinen unterscheiden sich stark: Kontorsionsnummern und ähnlich Filigranes, was wir mit China verbinden, sind im nordkorenischen Circus nicht zu sehen – dafür die großen Flugnummern, hier gezeigt von oftmals älteren, durchaus etwas stämmigeren Artisten. Vielen Nummern fehlt dadurch eine gewisse Leichtigkeit.

Nach einem farbenprächtigen Finale spendete das Publikum im sehr gut besuchten Zelt Beifall im Stehen – obwohl, wie gesagt, durchaus nicht alles Gebotene sensationell zu nennen war. Richtig ist aber freilich auch, dass man lange suchen muss, um ein Programm dieser artistischen Qualität in einem europäischen Reisecircus zu finden. Ein Kunststück besonderer Art, über vierfache Salti hinaus, haben jedenfalls die Produzenten Henk van der Meyden und Monica Strotmann vollbracht, die zum ersten Mal in der Geschichte ein komplettes Circusprogramm aus Nordkorea in Europa präsentieren, dies als Zeichen der vorsichtigen Öffnung des Landes interpretierten – und damit ein gewaltiges Presse-Echo erzielten, weit über die Frankfurter Lokalpresse hinaus.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch