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Flic Flac - Underground 2008
www.flicflac.de ; 45 Showfotos


Koblenz, 5. April 2008: Ehrlich gesagt, als ich das neue Flic Flac-Programm „Underground“ Anfang der Saison in Göttingen zum ersten Mal sah – jetzt wieder im kleinen, runden Zelt -, war ich doch etwas irritiert: Die Show kam mir vor wie ein uninspiriertes Nummernprogramm. Keine kreativen Übergange, keine abgefahrenen Ideen, einfach nur: Artist rein, Artist raus. In Koblenz, einige Tourneestädte weiter, hat sich das Bild dann aber wieder komplett gedreht. „Underground“ hat sich zu einem klassischen Flic Flac-Programm entwickelt, an dessen Ende es fast zwangsläufig zu stehenden Ovationen kommt und auch der Rezensent restlos begeistert ist.


Larissa Kastein, Ira Rizaeva

Aber von vorne: „Underground“ beginnt, wie auch „No Limits“ begonnen hat: Mit Feuerfontänen und dem Rammstein-Song „Mein Herz brennt“. Wie überhaupt einige Elemente aus dem spektakulären, letzten Flic Flac-Programm übernommen wurden: Larissa Kastein präsentiert ihre Handstand-Darbietung weiter als sexy Wassernixe, ein BMX-Fahrer (Dave Blundell) huldigt dem verstorbenen Gil Antares und Ira Rizaeva steckt auch heuer beim Jonglieren ein Wasserbecken in Flammen, in dem die Artisten zum Finale ausgelassen planschen. Sicher nicht zu jedermanns Freude wurde auch die Musikbegleitung prolongiert. Weiterhin werden viele Darbietungen von Rammstein-Songs – wie ich finde – sehr treffend untermalt. Im Gegensatz zu „No Limits“ ist „Underground“ allerdings deutlich weniger PS-lastig. Motorisiert sind nur noch die acht südamerikanischen Hasardeure in der Motorradkugel sowie Mario Sandoval Navarro, der per Motorrad ein Schrägseil hochfährt, während unter ihm Bernadette Stock waghalsige Tricks am Trapez zeigt.


Motorradkugel, Julia Galenchyk

Aber, was ist nun anders gegenüber dem Beginn der Saison 2008? Zwar wurden auch Kostüme und Musiken ausgetauscht, in erster Linie gewinnt „Underground“ aber durch die Integration des Ensembles in einzelne Nummern. So wird etwa die an sich schon sensationelle Motorradkugel zu einer riesigen Schau, wenn die männlichen Akteure von einem ganzen Trupp sexy gewandeter Artistinnen bezirzt werden. Eine (Julia Galenchyk) schafft es dann auch auf den Rücksitz eines der Helldriver und startet von dort zu ihrer kraftvoll wie anmutigen Kür an Netzstrapaten. Auch Komiker Davidoof, dahinter verbirgt sich wohl BMX-Fahrer David Blundell, ist mittlerweile besser in die Show eingebaut und sorgt für einige nette Brüche im Programm. Zum Beispiel, wenn er den Motorradjungs mit Oma-Mobil zur Hilfe eilt. Mario Sandoval Navarros Versuch auf komisch zu machen, geht dagegen einigermaßen in die Hose. Seine Nanaischen Spiele – der ehemalige Kunstschütze spielt gleichzeitig Braut und Bräutigam und tanzt sozusagen mit sich selbst – wirken im Flic Flac-Kosmos absolut unpassend.


Duo Serjo, Truppe Simonenko

Am erstaunlichsten am neuen FlicFlac-Programm ist allerdings die Masse der hochkarätigen Artistikdarbietungen. Besonders umjubelt wird die russische Simonenko-Truppe, die am Reck und auf dem Trampolin weit mehr als Standard bietet. Ebenfalls beeindruckend: Das Duo Serjo mit einer kraftvollen Hand-auf-Handdarbietung.


Duo Navuku, Alla Domokos, Tatjana Kastein

Darüber hinaus jongliert Alexander Xelo mit bis zu vier Diabolos, das Duo Navuku zeigt ein sinnliches Duett am Trapez,  Alla Domokos lässt lasziv unzählige Hula-Hoop-Reifen um ihre Hüften kreisen, Roman Konanchuk produziert sich an der Vertikalkette, Tito Vanegas und Nilton Martinez Gama toben sich auf dem Todesrad aus und die Flying Baetas zeigen den dreifachen Salto am Flugtrapez. Seit Koblenz gibt es außerdem eine Bola-Truppe im Programm. Diese Verpflichtung kann ich persönlich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen. Gehört das Bola-Genre doch zu den Sparten der Artistik, deren Sinn mir verschlossen bleibt: Südamerikanische Macho-Hohe-Priester, die halbwegs rhythmischen Lärm machen. Wer braucht so etwas? Ganz nach meinem Geschmack ist dagegen die neu gestaltete Darbietung von Tatjana Kastein: Auf einem quer gestellten Spiegel zelebriert sie zu klassischer Musik ohne jeden Wackler, geschmeidig, ja fast schon schwerelos ihre Handstandarbeit. Die berührendste Nummer des Programms.

Klar, wir brauchen nicht darüber diskutieren, dass auch „Underground“ kein klassisches Circusprogramm ist. Insbesondere die düsteren Kostüme sowie die Rammstein-Musik sind weiterhin Geschmacksache. Circusfreunde sollte sich die neue Flic Flac-Show dennoch nicht entgehen lassen. Aus einem einfachen Grund: Ein artistisch stärkeres und vor allem so üppig besetztes Programm – das Finale gleicht einem wahren Menschenauflauf - gibt es in diesem Jahr wohl nirgendwo anders zu sehen. Und, was meine anfängliche Irritation angeht: Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, ist es doch bei Flic Flac seit Jahren Tradition, die Programme auf Tour zu verfeinern und weiterzuentwickeln. Nicht umsonst leistet man sich bei Flic Flac einen Choreographen, der die Show jeden Abend inspiziert und gemeinsam mit den Artisten fortlaufend daran arbeitet. Schöner Nebeneffekt für uns Circusfreunde: Ein Flic Flac-Programm wird auch nach wiederholter Betrachtung nicht langweilig: Es gibt immer wieder neues zu entdecken. In Koblenz, gegen Ende des Gastspiels, wurde das Programm zum Beispiel durch einen Klischnigger verstärkt.

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Text und Fotos: Sven Rindfleisch