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Detmold, 17. März
2007: Im Zirkus Charles Knie hat über
die Winterpause nicht nur die Direktion gewechselt. Eigentlich
ist es eher so, dass der neue Eigentümer Sascha Melnjak und sein
Team einen ganz neuen Circus geschaffen haben, der aber einen
wohlbekannten Namen trägt. Nun mutet das Unternehmen –
Stichworte: ausgeklügeltes Marketing, gehobeneres Ambiente in
Vorzelt und Chapiteau... – stärker als früher nach „Großcircus“
an. Sehr gut besuchte Vorstellungen und zufriedenes Publikum
(nach allem, was man hört, liest und wir selbst gesehen haben)
sollten Beweis genug sein: Das Konzept geht auf! |
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Marek Jama |
Zum Beginn des Programms tauchen
sechs weiße Araber aus Nebelschwaden auf und werden von Marek
Jama elegant und glamourös in einer klassischen Freiheitsdressur
präsentiert. Dann hat Bauchredner Kenneth Huesca seinen ersten
Auftritt. „Wir feiern jetzt eine große Party im neuen Zirkus
Charles Knie“, ruft er ins Publikum – eigentlich eine
Ankündigung, nach der man ein buntes Opening, ein Charivari mit
allen Artisten erwarten könnte. Stattdessen aber stürmt Evelyn
Marinof in die Manege und zeigt ihre Hula Hoop-Nummer. Bis zu
vier Reifen lässt sie in unterschiedlichsten Varianten um ihren
Körper kreisen. Ihr wirkungsvoller Schlusstrick: Evelyn hält
drei brennende Reifen in der Luft. Noch im ersten Programmteil
ist sie außerdem mit ihrem Mann in ihrer eigentlichen
Paradedisziplin zu sehen, einer anspruchsvollen
Schleuderbrett-Darbietung. Beide Marinof-Nummern wurden in
Detmold zu Musik präsentiert, die nach Nachbesserung ruft:
Techno-Sound und „Die another day“ beim Hula Hoop, „Mambo Nr. 5“
beim Schleuderbrett. Tatsächlich soll es hier wohl noch
Veränderungen geben. Ein Live-Orchester gibt es zwar auch beim
neuen Zirkus Charles Knie (noch?) nicht, aber immerhin wurden
viele Musikbegleitungen vom Orchester des „Heilbronner
Weihnachtscircus“ und zusätzlichen Musikern eigens für das
Programm eingespielt. Dies soll letztlich eine musikalische
Untermalung „aus einem Guss“ garantieren, wie Sascha Melnjak uns
im Dezember selbst erläutert hat. |
Sandro Montez,
Alex Lacey |
Zurück zum Programm: Dessen Stärke
liegt vor allem bei den Tiernummern. Die Dressurnummern von
Charles Knie wurden weitgehend übernommen und haben nun neue
Vorführer gefunden: Marek Jama also dirigiert die Pferde und
will künftig auch die Papageien zeigen; Sandra Montez – zuletzt
jahrelang Hausdresseur bei „Barum“ – hat in kürzester Zeit die
beiden Seelöwen übernommen und präsentiert sich humorvoll als
Matrose. Außerdem steht der versierte Tierlehrer mit den Exoten
in der Manege: den Zebras und Kamelen, dem Emu und dem Känguru
sowie den sechs Lamas. Hinzugekommen sind die drei
Elefantendamen von Corty Althoff. Auch diese Tiere hat Sandro
Montez nach kurzer Zeit schon gut im Griff – offenbar ein
Alleskönner. Was das Programm aber wirklich adelt, das ist die
wohl beste Raubtierdressur der Gegenwart, die Gemischte mit
jeweils vier Tigern und Löwen von Alex Lacey – weite Sprünge,
achtfacher Hochsitzer, Rachentrick und andere spektakuläre
Tricks werden mit spielerischer Leichtigkeit, elegant und
schnell präsentiert. |
Elaine Courtney,
Gibadulin |
Anthony Wandruschka jongliert mit
Bällen, Keulen und plaudert nebenbei humorvoll mit dem Publikum;
später präsentiert er ein umfangreiches Trick-Repertoire am
hängenden und schwingenden Solotrapez, von dem er sich mit einem
Schockeffekt verabschiedet: einem scheinbaren Absturz, bei dem
er von Gummibändern sicher gehalten wird. Hübsch choreographiert
ist der Auftritt von Elaine Courtney: Sie wird von zwei
eleganten Herren im schwarzen Smoking, Alexander Lacey und Marek
Jama, zwischen Loge- und Gradinreihen hindurch in die Manege
geführt und dabei heftig umworben, zur Musik von „Hello,
Dolly!“. Eine Entscheidung für einen der Herren trifft sie
natürlich auch , ehe sie ihre bewährte, temporeiche Darbietung
am Schwungseil zeigt, die nach wie vor besonders von der tollen
Musik getragen wird. Antipodistin Maria Eleky jongliert
variantenreich mit den Füßen, die vier
Gibadulin tun es mit den Händen – eine Gruppenjonglage
mit vielen interessanten, schwierigen Wurfmustern, bei dem die
Akteure die Keulen im Liegen, im Zwei-Mann-Hoch oder im Spagat
fliegen lassen – zu Recht die umjubelte Schlussnummer im
Programm. |
Ein besonderer Akzent liegt
außerdem auf der Komik: Bauchredner Kenneth Huesca hat die
Nummer des großen Willer Nicolodi offenbar ausgiebig studiert
und unterhält das Publikum bei seinen Auftritten glänzend;
Versace erweist sich als sympathischer und witziger
Reprisenclown, ob beim klassischen Seilspringen oder wenn er
einen aufblasbaren Riesenwürfel durch die Zuschauerreihen
wandern lässt und damit den Käfigabbau überbrückt. |
Versace |
Der neue Zirkus Charles Knie
bietet also vom Start weg ein wirklich sehenswertes, rundes
Programm mit Potenzial nach oben: Noch mehr schöne
Inszenierungseinfälle wie der „Hello Dolly“-Auftritt von Elaine
Courtney, Live Musik, optimierte Licht- und Ton-Technik, noch
das eine oder andere artistische Highlight vielleicht – zu
feilen und verfeinern gibt es immer etwas, alles auf einmal zu
wollen wäre gar nicht möglich. Kurzum: Der Schritt zum
Ganzjahres-Zirkusdirektor ist Sascha Melnjak gut geglückt, und
nun freuen wir uns auf den weiteren Weg nach vorn des jungen
Unternehmens. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch
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