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Cirque Arlette Gruss - Tour 2007
www.cirque-gruss.com ; 45 Showfotos

Straßburg, 19. Mai 2007: Man kann es leider nicht anders sagen: „Pile Ou Face“, die neuste Produktion des französischen Vorzeigecircus Arlette Gruss, ist eine Enttäuschung. Klar, was Inszenierung, Licht und Musik anbelangt, ist Gruss vielen Mitbewerbern noch immer überlegen. Die Programm-Zusammenstellung, insbesondere im artistischen Bereich, entspricht allerdings nicht dem, was ich von diesem großartigen Circus erwarte. Insbesondere wenn man die beiden vorangegangenen Produktionen „Reves“ und „Delires“ als Maßstab nimmt.


Linda Gruss, Sergei Baryshnikov und Kevin Gruss

Die größte Attraktion des neuen Programms gibt es gleich zu Anfang zu sehen: Mit Hilfe einer sechsarmigen Lichtspinne wird das wunderschöne Plakatmotiv, das Linda Gruss mit einem riesigen, chapiteauförmigen Rock zeigt, zum Leben erweckt. Diese "Lichtspinne", an deren Armen eine Vielzahl von Scheinwerfern aufgehängt sind, thront nun während der gesamten Show in der Kuppel des Zeltes und hilft bei der Ausleuchtung der Manege. Beeindruckend, in meinen Augen, aber auch irgendwie unnötig. Nachdem sich Linda Gruss, die Gattin von Gilbert Gruss, dem Direktor des Unternehmens, aus der Kuppel abgeseilt hat, beginnt das eigentliche Spektakel. Die Manege ist als „Circusmuseum“ gestaltet und Linda Gruss erweckt als Fee zwei im Museum ausgestellte Statuen zum Leben. Hinter den Statuen verbergen sich Sergei Baryshnikov und Kevin Gruss, die sich dem immer beliebter werdenden Genre der Vertikalkette verschrieben haben und sogar parallel gesprungene Salti von Kette zu Kette zeigen.


André und Frisco

Aber zurück zur Inszenierung: Gruss gelingt auch diesmal das Kunststück eine durchgängige Inszenierung zu präsentieren. Das Thema „Museum“ wird konsequent und äußerst kreativ durchgehalten. Angefangen bei Monsieur Royal Michel Palmer, der als Museums-Konservator eine Besucher-Gruppe durch das Museum führt, über Clown Mathieu als vorwitzigem Besucher bis hin zu den Clowns André und Frisco als trotteligem Service-Personal, das nicht nur im Circus-Restaurant einspringt, sondern auch zu Maler-Arbeiten herangezogen wird. So liebevoll eingebunden und obendrein voller Spielfreude präsentiert, machen auch solche Clownskamellen wie Spaghetti- und Tapezierer-Entree großen Spaß. Etwas gewöhnungsbedürftig ist dagegen die Musik: Wie immer grandios gespielt, dominieren heuer sphärische, durch Bläser-Fanfaren aufgeheizte, aber nur wenig mitreißende Klänge. Von Ausnahmen wie der fetzigen Finalmusik mal abgesehen.


Vlad Olandar, Hans Ludwig Suppmeier mit Elefanten, Linda Gruss

Zufriedenstellend ist der tierische, vor allem durch Vielfalt glänzende Teil. Herausragend: Die furiose Hauskatzen-Dressur von Vlad Olondar. Sehenswert: die glamouröse Präsentation der vier Elefanten. Interessant: die beinahe ohne Requisiten auskommende Raubtierdarbietung mit vier unterschiedlich gefärbten Tigern. Während beide vorgenannten, vom American Circus ausgeliehenen, Tiergruppen von Hans Ludwig Suppmeier vorgeführt werden, steht Linda Gruss mit einem ebenfalls von Togni stammenden 7er-Zug weißer Schimmel in der Manege. Eigentlich eine schöne Nummer leidet die Darbietung daran, dass die herrlichen Tiere vor allem mit dem ungewohnten Holzboden zu kämpfen haben. Abgerundet wird das tierische Programm durch den, bereits aus dem letzten Jahr bekannten, Exoten-Zug.


Martyne Chabri, Chen Kai, Duo Air Love

Sehr dünn, wie bereits angesprochen, ist dagegen der artistische Teil. Dabei sind die gezeigten Nummern, nur fünf an der Zahl, für sich genommen, absolut in Ordnung, es fehlt allerdings das absolute Highlight. So ist die mit Equilibristik kombinierte Stuhlpyramide des erst 16jährigen Chinesen Chen Kai wirklich stark, als Schlussnummer aber eher unpassend. Auch das Duo Air Love am Vertikalseil sowie Powerfrau Martyne Chabri mit Quick-Change sind mit Sicherheit eine Bereicherung für jedes Programm, aber nicht geeignet um Ausrufezeichen zu setzen. Das gelingt schließlich nur den, von FlicFlac bekannten, Guidi-Ikariern, die vom Publikum frenetisch gefeiert werden.

Es ist schon seltsam, da hat der Cirque Arlette Gruss in diesem Jahr wahrscheinlich nur einen Fehler gemacht, nämlich den artistischen Teil vernachlässigt, und doch schmälert dies nachhaltig den Gesamteindruck von „Pile ou Face“. An der gewitztem Inszenierung, der Liebe fürs Detail in Sachen Musik, Kostüme und Licht, der spaßigen Clownerie und den vielfältigen Tierdarbietungen kann es nämlich nicht gelegen haben, dass ich das schmucke Arlette Gruss-Zelt zum ersten Mal enttäuscht verlassen habe.

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Tobias Erber, Sven Rindfleisch