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Circus Roncalli - Tour 2006
www.roncalli.de  ; 60 Showfotos

Heidelberg, 12. August 2006: Roncalli. Seit seiner Gründung steht dieser Circus für die perfekte Illusion einer nostalgischen Circuswelt. Einer Welt wie sie in realiter womöglich nie existiert hat, dafür in den Köpfen vieler Menschen umso präsenter war. Für all diese Menschen ist Bernhard Pauls Lebenswerk mit dem Charakter eines „lebendigen Circusmuseums“ ein wahr gewordener Traum. Ein Traum, der auch 30 Jahren nach seiner ersten Reise nichts von seiner Faszination verloren hat. Im Gegenteil: Das aktuelle Jubiläumsprogramm ist circensische Kunst auf allerhöchstem Niveau und erfrischend frei von selbstverliebter, langweiliger Poesie.


David Larible, Gensi

Heuer ist es an David Larible, die Zuschauer in ihrem Innersten zu berühren. Als Requisiteur, der unfreiwillig zum Clown wird, immer mehr Gefallen an seinem neuen Job findet und schließlich am Ende der Show unter dem Seufzen des Publikums seine Clownsnase wieder absetzen muss, spinnt der Ringling-erprobte Clown den roten Faden. Zur Hand geht ihm Weißclown Gensi mit einem Best-of der aus dem letzten Jahr bekannten Entrees. So eröffnet seine köstliche Parodie einer Pferdefreiheit die Araber-Dressur von Sarah Houcke. Die größten Lacher erntet aber natürlich Larible mit den bekannten Szenen: Oper und Orchester. Auch, wenn ich Mitmachclownerie eigentlich gar nicht mag, muss ich eingestehen: Larible ist eine Wucht. Selten einen Clown gesehen, der sein Publikum in solch ekstatische Begeisterung versetzt. Endlich mal wieder eine Clown, über den man herzhaft lachen kann. Da stört es auch nicht, dass Bernhard Paul nur noch höchst selten als Zippo auftritt.


Konstantin Mouraviev, Sorellas, Picasso junior

Nicht weniger hochklassig ist die gezeigte Artistik. Zum Glück legt Bernhard Paul bei der Auswahl der Künstler wert darauf, stets Darbietungen mit dem gewissen Extra zu engagieren. Und so sieht man bei Roncalli auch in diesem Jahr keine Leistungsschau fremdgesteuerter Roboter mit verkrampften Mienen, sondern Weltklasseartistik dargeboten von Künstlern, denen man ansieht, dass sie ihren Job wirklich lieben. Nehmen wir den Wahnsinnsjongleur Picasso junior. Er jongliert nicht nur fünf Ping-Pong-Bälle mit dem Mund, sondern stürmt auch mit Tellern jonglierend durch das Publikum und versprüht gleichzeitig ansteckende Lebensfreude. Oder die Sorellas: Trotz waghalsigster Abfaller am Trapez versäumen sie es nicht, durch Körpersprache und kleine Gesten einen direkten Draht zum Publikum aufzubauen. Donnernder Beifall ist ihnen ebenso gewiss wie den weißrussischen Antipoden-Zwillingen Maryna und Svetlana Tsodikovi, die zu Riverdance-Musik ein antipodistisches Feuerwerk abbrennen und bis zu vier Teppiche mit den Füßen jonglieren. Mein persönliches Highlight aber sind die Boytsov. Deren Stangenwurfnummer vor allem dadurch besticht, dass ihr Springer bis zu drei verschiedene Sprünge hintereinander zeigt. Ohne Abzusetzen! Und wo sieht man schon mal einen dreifachen Salto, der ohne helfende Hände traumhaft sicher gelandet wird. Die folkloristische Musik dazu ist vielleicht Geschmacksache, in meinen Augen verstärkt sie den Charme der Nummer aber ungemein. Höchst charmant ist auch Konstantin Mouravievs Rhönrad-Comedy.


Sarah Houcke, Iryna Pitzur, Yuri Voldochenkov

Die Hula-Hoop-Nummer von Iryna Pitzur gewinnt durch originelle Präsentation und kontorsionistische Einlagen. Die Jongleuse Ludmilla – nach den Antipoden-Zwillingen platziert – droht dagegen etwas unterzugehen. Dabei jongliert sie sehr beachtlich: Bis zu acht Bälle. Und tierische Akteure? Die sind bei Roncalli seit Jahren leider auf Pferde beschränkt. In diesem Jahr präsentiert Sarah Houcke absolut souverän einen 6er-Zug weißer Araber. Schöne Lauffiguren wechseln sich mit diversen Steigern ab. Deren Feinheiten sicher noch mehr zu würdigen wären, wenn nicht Frau Houcke von der eigentlichen Nummer immer so sehr ablenken würde. Tierisches Highlight ist ganz klar die feurige Hohe Schule. Yuri reitet wie der Teufel, zeigt schwierigste Hohe Schule Tricks, und das Beste: Er reitet das Pferd ohne Zaumzeug. Das muss man gesehen haben!

Man kann es nicht anders sagen: Roncalli 2006 ist unschlagbare circensische Unterhaltung. Ein Programm aus einem Guss, ohne Längen und Schwachpunkte sowie mit einem fabulösen Ensemble. Inszenierung und fantastische Musikauswahl – natürlich live dargeboten - sorgen zudem für eine unvergleichliche Stimmung, die den Funken von der ersten Minute an aufs Publikum überspringen lässt. Gäbe es jetzt noch eine große Raubtiernummer…

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Sven Rindfleisch, Stefan Nolte