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Circus Barelli - Tour 2006
www.circus-barelli.com

Crailsheim, 2. Juni 2006: Die Stadt und das Umland voller Plakate, aber wo ist Barelli? Auf dem Crailsheimer Volksfestplatz stehen nur parkende Autos. Man muss genauer hinsehen: Die Plakate nennen den „Circusplatz am Media-Markt/Haller Straße“ als Spielort: eine Privatwiese in einem Gewerbegebiet, direkt an einer mehrspurigen Straße. Nach den heftigen Regenfällen der Tage zuvor ist der Platz aufgeweicht, die Wagen stehen tief im Morast. Zu Beginn seiner berühmten Tierschau-Ansage vor der Pause lobt Seniorchef Harry Barelli (Spindler) seine Arbeiter für die tagelange Plackerei, mit der sie dafür gekämpft hätten, dass alles rechtzeitig fertig wird.

Den Besuchern verspricht er „saubere Schuhe“ auch nach dem Tierschaubesuch („Wir haben Wege für Sie gebaut“).  Dann erklärt er sein Unternehmen zum „zweitgrößten Circus in Deutschland“ mit dem „höchsten Circuszelt der Welt“ – wobei in der Riesenkuppel aber nichts passiert: Luftartistik gibt es zurzeit bei Barelli nicht, und das Bühnenpodest, das sonst für die Tiernummern unters Zeltdach gezogen wird, stand wegen der schwierigen Platzverhältnisse draußen auf dem Tieflader. Damit fehlte in Crailsheim ausgerechnet jenes Requisit, das den ganz speziellen Pomp Marke Spindler symbolisiert.


Timmy Barelli

Aus gesundheitlichen Gründen beschränkte sich zudem Komiker Timmy Barelli auf einen Auftritt, und zwar in seiner Version von „Musizieren ist hier verboten“. Er hat bei Starclown Fumagalli offenbar gut studiert, wie man Lacherfolge erzielt, aber auch seinen eigen Stil gefunden, gibt also einen ziemlich arroganten und flegelhaften Kerl mit Schalk im Nacken und kommt damit bestens an. Als Ersatzkomiker eröffnete übrigens der Gitarrist des Barelli-Orchesters die Vorstellung mit dem Glockenspiel und zeigte später noch eine Reprise; die Kraftakrobaten-Comedy „Alte Kameraden“ fiel aus. Trotz aller Widrigkeiten: Das Publikum der Crailsheimer Abendpremiere im fast vollen Zelt war begeistert und später, beim kurz gehaltenen Finale ohne die früheren Inszenierungseinfälle und -anleihen, entlud sich die gute Stimmung in donnerndem Applaus, Jubel und Fußgetrampel.


Franz Barelli, Ramona Barelli mit Tänzerin

Dabei ist Barelli mit etwas ganz Klassischem erfolgreich: Pferdetheater in allen Variationen. Den Auftakt macht Salima Folco mit Stehendreiterei und einer Art Ungarischer Post, bei der sie aber keine Bänder von den Pferderücken aufnimmt. Die Nummer hat sich stark verbessert: Nun laufen vier weiße Araber unter Salima Folco durch, während diese auf zwei schwarzen Friesen stehend reitet, und weiter vor der Reiterin her. Die Nummer ist nicht mehr im „Herr der Ringe“-Stil inszeniert, sondern zur bekannten Winnetou-Musik tanzen Indianer durch die Manege, und Salima Folco gibt die Squaw. Später hat Rolina Barelli erhebliche Mühe, den Achterzug weißer und brauner Araber in geordnete Bahnen zu lenken. Schön inszeniert ist die Hohe Schule von Ramona Barelli, die von einer Flamencotänzerin begleitet wird. Höhepunkt der hauseigenen Tiernummern ist aber der große Pferdeblock im zweiten Teil, den an diesem Abend Junior Franz Barelli präsentierte: zunächst die Freiheit mit zwölf (!) Friesen, dann ein Groß und Klein und mehrere Da Capos mit vier Steigern und anderen interessanten Tricks. Hier wuchert Barelli am effektvollsten mit seinem größten Pfund: dem Orchester (auch wenn es auf acht Musiker verkleinert wurde und die beiden Sänger nicht mehr dabei sind). Die Musiker sorgen für die Tempo- und Stimmungswechsel zwischen Ruhe und Eleganz sowie Feuer und fiebernder Rasanz, deretwegen die Nummer so umjubelt wird. Das Tierprogramm komplettieren Franz Barelli mit einem temporeichen Achterzug Dromedare und Altmeister Karoly Donnert mit seinen Tigern, in den zwei besuchten Vorstellungen in Künzelsau und Crailsheim aber ohne seinen „Tiger zu Pferd“.


Gina Giovannis, Kathy Donnert

Nur drei Künstler bestreiten bei Barelli zurzeit das artistische Angebot – aber dafür sind diese umso besser. Gina Giovannis glänzt auf dem Drahtseil unter anderem mit dem Sprung durch einen papierbespannten Reifen und später im Hand- und Kopfstand auf dem „schwarzen Zylinder“. Ein Glanzlicht ist die Antipoden-Nummer von Kathy Donnert, die bis zu fünf weiße Bälle mit Händen und Füßen jongliert. Der Clou und ein witziger Effekt: Unter dem Requisit versteckt sich ein Partner hinter weißen Stoffstreifen und reicht, stets im richtigen Augenblick, die benötigten Bälle. Nur seine Arme sind zu sehen. Für die Schlussnummer sorgt der Ungar Lajos Nereus. Elegant mit Krawatte und Weste, mit viel Ausstrahlung und noch mehr Können jongliert er Bälle, Ringe, Keulen – mit hohem Tempo und ungewöhnlich vielen Requisiten, zum Beispiel bis zu zehn Ringen.

Freilich bietet Barelli Diskussionsstoff zur Genüge. Doch klar ist: Die Spindlers können, wenn sie wollen, richtig guten und begeisternden Zirkus mit Zug und Tempo machen. Und sind in diesem Punkt, allem Für und Wider zum Trotz, sogar ein wenig vorbildlich.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch