CHPITEAU.DE

Cirque Arlette Gruss - Delires 2006
www.cirque-gruss.com ; 40 Showfotos

Straßburg, 9. Juni 2006: Kann es nicht einfach endlos weitergehen? Als Michel Palmer, wortgewaltiger Mr. Loyal des Cirque Arlette Gruss, die Zuschauer in die Pause bittet, mag man sich kaum vom Platz erheben, nach einer furiosen ersten Hälfte des neuen Programms „Délires“. Gleich zu Beginn grenzenloses Staunen, als Aidyn Israfilov gemeinsam mit seinem Affen Partner-Jonglage mit Bällen zeigt – einzigartig. Wermutstropfen: Die Unterbringung des Affen in einem winzigen Gitterverschlag ist, wie auch die Unterbringung der Leoparden, weniger einzigartig.


Michel Palmer mit André und Frisco, Aidyn Israfilov, Davio Casartelli mit Ensemble

Roby Berousek präsentiert Artistik auf der freistehenden Leiter; seine Partnerin Marisa Biasini gibt eine überdrehte Zuschauerin, die den Part der Assistentin übernimmt.  Zwischen den Darbietungen sind, wie auch im zweiten Teil, immer wieder die beiden Clowns Frisco und André mit witzigen Reprisen zu sehen, zum Beispiel als Jäger und Hase à la Jigalov. Linda und Gilbert Gruss zeigen zunächst mit zwei Pferden am Zügel Schritte der Hohen Schule, lassen dann die Tiere an Longen in zwei Gruppen kleinere Figuren laufen, ehe die fünf Portugiesen und Lusitanos gemeinsam in Freiheit vorgeführt werden, und krönen die Darbietung mit verschiedenen Steigern. Davio Casartelli präsentiert seine Elefanten in diesem Jahr auf verblüffend originelle Weise: Die drei Tiere betreten die Manege in einer Polonaise, der sich Mitglieder des Ensembles in bunten Kostümen anschließen. Schließlich lässt ein Elefant mit kraftvollen Tritten auf ein Schleuderbrett einige Ensemblemitglieder durch die Luft fliegen, auch über ihn hinweg, und Salti schlagen.


Trio Carillo, Henri Wagneur, Artem und Serguei

Hoch spannend, atemberaubend, schlichtweg sensationell ist die Nummer vor der Pause: das Trio Carillo auf dem Hochseil. Zwei Artisten laufen rückwärts (!) das Schrägseil hinauf zur Plattform, einer springt rückwärts über den auf dem Seil kauernden Partner, zwei Artisten fechten gegeneinander auf dem Seil. Und ein Artist dreht sich auf dem Seil mit der Balancierstange in den Händen um die eigene Achse; ein anderer überspringt die Stange dabei. Das Trio arbeitet übrigens ohne Luftkissen in der Manege oder ähnliches – nur beim abschließenden Rückwärtssalto sichert sich ein Artist mit einer Longe ab. Die zweite Hälfte des Programms eröffnet Henri Wagneur mit einem artenreichen Exotentableau aus dem Schweizer Circus Medrano, unter anderem mit Kamelen, Zebras, Lamas und Eseln, begleitet vom Ensemble in weißen Vogel-Kostümen, das bis in die Ränge des Gradins ausströmt. Das ist an dieser Stelle fast ein bisschen zu viel Choreographie. Aber dennoch: Das zauberhafte Licht, die wunderbaren Kostüme, die kraftvolle Live-Musik, die die Darbietungen von Höhepunkt zu Höhepunkt treibt, schlicht die gesamte Inszenierng setzen auch in diesem Jahr Maßstäbe, trotz der deutlichen Anleihen beim „Cirque du Soleil“. Die Exotennummer geht dann nahtlos über in die nächste Darbietung, als zwei der Vogel-Wesen – die ukrainischen Artisten Artem et Serguei – sich an Strapaten unter die Zeltkupel schwingen.


Pedro und Tatiana Carillo, Eva Julie Christie, Duo Stykan

Es folgen die zwei Glanzlichter des zweiten Programmteils: Zunächst präsentiert das Duo Stykan zwischen vier Springbrunnen seine kraftvolle Partnerakrobatik, unter anderem mit dem spektakulären Stuhl-Trick, der von den „Manducas“ bei Krone bekannt ist. Anschließend sind die Hochseil-Künstler Pedro und Tatiana Carillo ein zweites Mal zu sehen, diesmal in einem sinnlichen Trapezakt. Immer wieder verblüffend sind Groß-Illusionen wie jene von Eva Julia Christiie, die einen Tiger erst herbeizaubert und dann an der Leine in die Manege führt. Der insgesamt fabelhafte Zirkusabend enttäuscht schließlich nur mit einem, und zwar ausgerechnet der Schlussnummer – den beiden Polo Brothers mit einer mäßigen Variante des inflationär verbreiteten Todesrads und dem üblichen Repertoire an Tricks.

 Dramaturgisch sinnvoll wäre es gewesen, das Todesrad vor die Pause zu setzen und als nicht zu überbietenden Schlusspunkt der Show den Wahnsinnsakt auf dem Hochseil zu wählen. Dennoch: „Arlette Gruss“ ist und bleibt eines der absoluten Top-Unternehmen der Branche, das zu Recht mit Standing Ovations im fast ausverkauften Zelt gefeiert wurde.

__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch